Jung

PHILOSOPHIE

der Alchemie

C. G. Jung und sein Verständnis der Alchemie

Beat Krummenacher

Die Schriften von Jung dürften für viele, welche auf die Alchemie gestoßen sind, ein Ausgangspunkt für ihre eigene Tätigkeit gewesen sein. Weil ich jedoch davon überzeugt bin, daß Jung kein echtes Verständnis der Alchemie besessen hat, schreibe ich diesen Text. Allerdings möchte ich betonen, daß ich dies nicht einfach behaupte. Ich werde Jung selber sprechen lassen und mit seinen Worten zeigen, wie einseitig und damit nur bedingt brauchbar sein Verständnis der Alchemie war.

Die nachfolgend aufgeführten Zitate sind dem Buch 'Psychologie und Alchemie' von Jung entnommen. Ich zitiere aus der deutschen Studienausgabe des Walter-Verlages, in der vierten Auflage 1975 in Olten publiziert (ISBN 3 530 40773 9). Es handelt sich um den Originaltext von Jung. Dieser Text ist vermutlich die beste Quelle um herauszufinden, welches Verständnis Jung von der Alchemie besaß.

Jung hielt überhaupt nichts von der praktischen Alchemie. Sofern er über praktische Prozesse der Alchemie sprach, betrachtete er sie als Projektion der Archetypen. Interessant ist die folgende Textstelle (Seite 53f):

"Solange sich die Alchemie im Laboratorium mit dem Werk abmühte, befand sie sich in einem seelisch günstigen Zustand. Denn solange dies der Fall war, hatte der Alchemist schon gar keine Gelegenheit, sich mit den auftauchenden Archetypen zu identifizieren, da alle die letzteren in den chemischen Stoff projiziert waren. Der Nachteil dieser Situation war allerdings, daß der Alchemist gebunden war, die inkorruptible Substanz als chemischen Körper darzustellen, was ein unmögliches Unterfangen war, an dem die Laboratoriumsalchemie schließlich auch zugrunde ging und durch die Chemie abgelöst wurde."

Wir sehen: Für Jung war die praktische Alchemie ein unmögliches Unterfangen. Ohne über eigene praktische Erfahrungen zu verfügen, sprach er der praktischen Alchemie jegliche Bedeutung ab. Was er akzeptierte, war einzig die günstige Einwirkung der praktischen Arbeiten auf die Seele des Alchemisten. Diese Wirkung der Praxis war aber keine Wirkung der Stoffe in deren materiellen Eigenschaften, sondern die Stoffe waren nur Hilfsmittel der Projektion der Archetypen.

Seite 268: "daß es vier Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer) und vier Eigenschaften (heiß, kalt, feucht, trocken) gebe, dagegen nur drei Farben: Schwarz, Weiß und Rot. Da der Prozeß niemals zum gewünschten Ziel geführt hat, und auch in seinen einzelnen Teilen nie typisch durchgeführt wurde, kann die Veränderung der Phaseneinteilung auch nicht aus äußeren Gründen erklärt werden, sondern hat mehr mit der symbolischen Bedeutung der Quaternität und der Trinität zu tun, also mit inneren, psychischen Gründen."

Es ist erstaunlich, mit welcher Gewißheit Jung behauptet, der Prozeß habe nie zum gewünschten Ziel geführt, ja nicht einmal einzelne Teile seien jemals typisch durchgeführt worden. So kann nur einer reden, der nicht die leiseste Ahnung von Alchemie hat! Im zweiten Teil des Zitates leitet Jung aus seiner Unkenntnis der alchemistischen Praxis ab, daß alle Praxis nur symbolische Bedeutung besitze. Zwar betrifft die Thematik im Zitat nur einen Teilaspekt der Alchemie. Dennoch darf man die Verallgemeinerung machen, daß bei Jung die ganze Praxis nur symbolhaft zu verstehen ist. Weitere Textstellen zeigen, daß dieselbe Voreingenommenheit für Jung typisch ist. So schreibt er Seite 277:

"Ich will hier nicht weiter auf die zahlreichen Synonyme des Gefäßes eingehen. Die erwähnten mögen genügen, um die unzweifelhaft symbolische Bedeutung des Gefäßes darzutun."

Offensichtlich hatte Jung nie die Gelegenheit, sich von einem echten Alchemisten vom Gegenteil überzeugen zu lassen!

Vielleicht sind manche Leser empört, daß ich wenig auf das Alchemieverständnis von Jung gebe. Jeder, der selber über einige Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt, muß jedoch aufhorchen, wenn er die folgende Textstelle liest (Seite 332):

"Die Grundlage der Alchemie ist das Werk (Opus). Dieses besteht aus einem praktischen Teil, der eigentlichen Operatio, die wir uns als ein Experimentieren mit chemischen Körpern zu denken haben. Es ist meines Erachtens völlig aussichtslos, in das unendliche Chaos der behandelten Stoffe und der Prozeduren irgendwelche Ordnung bringen zu wollen. Man kann sich selten auch nur ein annäherndes Bild davon machen, wie und mit was für Stoffen gearbeitet wurde, und was für Resultate erzielt wurden. In der Regel befindet sich der Leser auch in tiefster Dunkelheit mit den Stoffbezeichnungen, welche irgend etwas heißen können, und es sind gerade die meist gebrauchten Stoffe wie Quecksilber, Salz und Schwefel, deren alchemistische Bedeutung zu den Geheimnissen der Kunst gehört."

Immerhin muß man Jung zugestehen, daß er ehrlich zugegeben hat, die konkrete Bedeutung alchemistischer Begriffe nicht verstanden zu haben. Wenn er von einem unendlichen Chaos der Begriffe spricht, in das nie eine Ordnung gebracht werden könne, so gibt er damit indirekt zu, die Texte nie wirklich verstanden zu haben. Es ist erstaunlich, daß jemand dann über ein Thema schreiben kann, wovon er kaum eine Ahnung hat!

Man könnte nun einwenden, daß sich ein Studium der Bücher von Jung dennoch lohnt, enthüllt er doch wenigstens einen Teilaspekt der Alchemie, nämlich deren symbolische und psychologische Bedeutung. Doch auch diese Vermutung ist in Frage zu stellen. Denn Jung ging nicht unvoreingenommen an die alchemistischen Texte heran, sondern projizierte selber seine eigenen Vorstellungen von Alchemie in die Texte hinein. Damit werden seine Interpretationen für den ernsthaft interessierten Alchemisten nahezu wertlos. Es ist viel besser, die Originaltexte unvoreingenommen zu lesen, als sich die fragwürdigen Interpretationen Jungs zu Gemüte zu führen. Denn Jung schreibt (Seite 333):

"Die tiefe Finsternis, welche die chemische Prozedur deckt, rührt davon her, daß der Alchemist sich zwar einerseits für den chemischen Teil seiner Arbeit interessiert, andererseits diesen aber benützt, um eine Nomenklatur für die ihn eigentlich faszinierenden seelischen Veränderungen aufzufinden."

Wer so schreibt, ist tatsächlich voreingenommen. Nur weil Jung nichts von der Praxis versteht, heißt noch lange nicht, daß echte Alchemisten nur über praktische Prozesse sprachen, weil sie seelische Vorgänge damit ausdrücken wollten! Jung zwingt den Alchemisten ein Verhalten auf, das diese selber in ihren Schriften nur allzu oft ausdrücklich abgelehnt haben.

Zum Abschluß noch folgende Textstelle (Seite 364):

"Die Basis des Opus ist die Materia prima, welche eines der berühmtesten Geheimnisse der Alchemie ist. Dies ist insofern nicht erstaunlich, als sie den unbekannten Stoff darstellt, welcher die Projektion des autonomen seelischen Inhaltes trägt. Ein solcher Stoff konnte natürlich nicht angegeben werden, weil die Projektion vom Individuum ausgeht und infolgedessen in jedem Fall wieder anders ist. Es ist darum auch nicht korrekt zu behaupten, die Alchemisten hätten nie gesagt, was die prima Materia sei. Im Gegenteil haben sie nur zu viele Hinweise gegeben und sich dadurch endlos widersprochen. Für den einen war die prima Materia das Quecksilber, für andere Erz, Eisen, Gold, Blei, Salz, Schwefel, Essig, Wasser, Luft, Feuer, Erde, Blut, Lebenswasser, Lapis, Gift, Geist, Wolke, Himmel, Tau, Schatten, Meer, Mutter, Mond, Drache, Venus, Chaos, Mikrokosmos."

Damit gesteht Jung endgültig, kein wirkliches Verständnis alchemistischer Texte erreicht zu haben. Denn wenn man alle diese angeführten Worte in einen Topf werfen kann, so hat man ihre kontextbezogene Bedeutung nie begriffen!

Dem muß man entgegenhalten: Die Alchemisten haben sich nicht endlos widersprochen. So redet nur einer, der ihren Worten nicht folgen kann. Wer dagegen in seinem eigenen Labor mit seinen Sinnen erfahren hat, wie konkret alchemistische Texte verstanden werden können, muß zu einem ganz anderen Verhältnis zur Alchemie kommen.

Als ich mich noch ganz am Anfang meines alchemistischen Pfades befand, besuchte ich einmal einen engen Freund von Jung. Anfangs hatten auch mich die Texte von Jung interessiert. Bald fiel mir aber auf, daß aus den Büchern von Jung wenig Konkretes zu lernen war. Nun wollte ich erfahren, welche Umstände Jung zu der Alchemie geführt hatten. Da Jung nicht mehr lebte, blieben nur Personen als einzige brauchbare Quelle übrig, die Jung persönlich gut gekannt hatten. Das Treffen mit dem Freund von Jung war sehr aufschlußreich. Er bestätigte mir, daß Jung keine Ahnung von den praktischen Möglichkeiten der Alchemie besaß. Dann äußerte er etwas, welches mich in Erstaunen versetzte. Jung wird heute als eine Art Entdecker der Archetypen, des kollektiven Unbewußten etc. bezeichnet. Der Freund Jungs sagte mir nun, daß die Originalität von Jung sehr in Frage zu stellen sei. Wenn ich wirklich zu den Quellen der Ansichten von Jung vorstoßen wolle, so müsse ich nicht Jung lesen, sondern Schriften jener Person, von der Jung alle wesentlichen Aspekte seines Verständnisses der Alchemie abgeschrieben habe! Der Freund Jungs empfahl mir, besonders ein Buch genau zu studieren, das diese Zusammenhänge aufdeckt. Es handelt sich um das Buch von Herbert Silberer mit dem Titel 'Probleme der Mystik und ihrer Symbole'.

Kurz darauf bestellte ich das Buch via Fernleihe der Universitätsbibliothek in Zürich. Ich bestellte es also an dem Ort, wo Jung lange Jahre gelebt und gearbeitet hatte. Bald erhielt ich eine Ausgabe des Werkes in Paperback. Mein Erstaunen war groß: Auf dem Titelblatt der Ausgabe, die ich in den Händen hielt, stand mit schwarzer Tinte die unverkennbare Unterschrift von C. G. Jung! Offensichtlich hatte ich die Studienausgabe vor mir, die Jung selber gelesen hatte. Nach dem Studium dieses Buches mußte ich erkennen, daß der Freund von Jung recht hatte. Die Jungschen Entdeckungen sind eigentlich nichts anderes als die Bearbeitung und Ãœbernahme dessen, was Herbert Silberer vor Jung niedergeschrieben hatte.

In gewissem Sinn kann man daher Jung dennoch als erfolgreichen Alchemisten bezeichnen. Denn Jung hat von Silberer das meiste abgekupfert und damit Gold verdient. Das Gold der Alchemisten aber hat er höchstens nur von weiter Ferne her gesehen.

Beat Krummenacher

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