Versuche

LABORPRAXIS

der Alchemie

Versuche von Bernhard Bergbauer

Beitrag von Bernhard Bergbauer

Die Anleitung, die uns Paracelsus in seinen Archedoxen hinterläßt, unterscheidet sich hier wesentlich. Er schreibt, daß "denselbigen außzuziehen ihr quintam essentiam ist auch in vil weg, durch ander zusätz: so soll sie doch ohn alle vermähligung anderer additionen außgezogen werden, also daß sie in ihrem geschmack, farben und gustu bleibt, und sich in demselbigen mehre, und nit mindere." Paracelsus fordert also, daß keinerlei fremde Zusätze zur Extraktion verwendet werden dürfen. Also auch kein Alkohol, Wasser oder Hefe.

Folgend wir dem Meister weiter und schauen wir uns seine Anleitung an: "Rec[ipe] die crescentes, wol gestossen, in einem standtner behalten, und gesetzt vier wochen in ein roßmist, darnach distillirt per balneum: demnach wider in ein roßmist gesetzt auff acht tag, darnach distillirt per balneum, so gehet die quinta essentia per alembicum herüber, und bleibet der corpus in fundo: unnd so mehr quinta essentia in fundo wer, so putrificirs noch mehr, unnd thue ihm als vor. Darnach so nimb das wasser, das distillirt ist, und setz ihm deß crescens wider zu, und per pellicanum digerirs auff sechs tag, so wirdt ein dicke farb darauß: dieselbig segregir auch per balneum, so gehet der corpus darvon, und bleibet die quinta essentia in fundo, dieselbig scheid durch den retortischen presser von faecibus, und laß die quintam essentiam digeriren vier tag, so ist sie in dem geschmack, safft, gustu, und virtute vollkommen, mit einer spissen substantz."

Das klingt eigentlich gar nicht so schwer. Die "crescentes", also die "wachsenden Dinge", die Kräuter, werden gestoßen und in ein Standgefäß gesetzt, das man in die gleichmäßige Wärme des Roßmists (ca. 40°C) stellt. Wohlgemerkt: Nur die gestoßenen Kräuter, nichts weiter. Nach vier Wochen destilliert man im
Wasserbad mittels eines Alembiks, wobei die Quintessenz übersteigt und der Körper zurückbleibt. Dann kommt der Ansatz (ohne das Destillat) wieder acht Tage in die Wärme und es wird erneut destilliert2. 

Dann kommt allerdings das erste Problem: Sofern noch mehr Quintessenz im Ansatz wäre, solle man diesen Ansatz noch weiter putrifizieren. Woran erkennt man, ob noch Quintessenz im Ansatz ist? 

Einen Hinweis gibt uns Paracelsus in der Einleitung zum Kapitel über die Quintessenz: "So ist nuh das zuverstehen, [daß] die quinta essentia die farb gibt, gleich wie die tugent: unnd so das goldt sein farb verloren hat, so ist ihm sein quinta essentia hinweg. Also ist auch von allen metallen zuverstehen, so bald die farben entzogen, ist auch ihr natur auß: und deßgleichen in den steinen und gemmen. Als die quinta essentia corallorum ist ein rothe feiste, und das corpus weiß. Der smaragd ist ein griener safft, und das corpus weiß. Also auch von allen andern steinen zuverstehen ist, daß sie ihr farben verlieren, und in derselben ihr natur,wesen und proprietas ligendt: daß wir alls in seinen extractionibus eigentlich setzen “ Also auch von kreuttern und andern gewechsen verstanden wirdt, in massen wie wir angezeigt haben."

Ist der Rückstand nach der Destillation noch stark gefärbt (und hoffentlich nicht verkohlt!), so setzen wir ihn noch mal in die Wärme und Destillieren danach erneut die Flüssigkeit ab. Danach nehmen wir alles überdestillierte Wasser und geben es wieder zu dem wachsenden Ding, zu dem Kraut. 

Was bedeutet das nun? “ Wir haben mehrere Möglichkeiten. Die eine währe, das Destillat auf den Rückstand zurückzukippen. Die andere wäre, frische Kräuter der selben Art zu nehmen und darauf das Destillat zu geben. 

Die erste Variante erinnert an das Vorgehen des Alexander von Bernus, der nach dem Auszug von getrockneten Kräutern auf den Rückstand destilliertes Wasser gibt, dieses vom Rückstand abdestilliert und dann mit diesem Rückstandsdestillat und Alkohol aufs neue die selbe Art von getrockneten Kräutern auszieht. (3 Da er von getrockneten Kräutern ausgeht, ist das destillierte Wasser nötig. Das Destillat vom Rückstand ist übrigens milchig. 

Die zweite Variante erinnert an die Vorgehensweise Dr. Hauschkas, oder die ähnliche Methode der Weleda im Homöopathischen Arzneibuch, in der frische Kräuter mit destilliertem Wasser angesetzt und destilliert werden. 

Der nächste Schritt jedoch ist wieder klar. Der neue Ansatz wird wieder sechs Tage in die Wärme gestellt und färbt sich darin stark. Danach wird wieder im Wasserbad destilliert. Dieses mal steigt aber der Körper über und die Quintessenz bleibt im Ansatz. Das nächste Rätsel! 

Der letzte Schritt besteht dann im Auspressen des Rückstands, in dem sich ja jetzt die Quintessenz befindet. Die Flüssigkeit, die wir so erhalten, wird abschließend vier Tage digeriert, dann ist die Quintessenz fertig. 

Ich habe versucht, diese Anleitung nachzuarbeiten. Leider sind meine Laboraufzeichnungen einem Festplattenfehler zum Opfer gefallen, so daß ich keine genauen Mengen und Gewichtsangaben geben kann. Ich bitte den Leser, dies zu entschuldigen. Die Vorgehensweise sollte aber auch so klar werden. 

Der erste Versuch 

Mein erster Versuch wurde mit Löwenzahn durchgeführt. Ich wollte nach den ersten Destillationen mit neuem, frischen Löwenzahn arbeiten und habe daher eine Pflanze gewählt, die sehr lange blüht. Das ist nämlich das erste Problem bei dieser Methode. Sollten es wirklich beim zweiten Mal auch noch frische Pflanzen sein, so kann dies gar nicht mit allzuvielen Pflanzen gemacht werden. Denn wenn ich Pflanzen vier Wochen putrifiziere, destilliere, noch einmal acht Tage putrifiziere, dann sogar eventuell noch einmal, und danach das Destillat für den endgültigen Auszug wieder auf frische Pflanzen derselben Gattung geben will, habe ich bei vielen Pflanzen nicht die Möglichkeit, noch einmal im idealen Blütezustand zu ernten. Weil diese ganz einfach sechs Wochen nach der ersten Ernte bereits verbüht sind. Beim Löwenzahn ist dies jedoch kein Problem. Also habe ich ein sehr großes Einmachglas mit gestoßenem, frisch geernteten, blühendem Löwenzahn (die ganze Pflanze mit Wurzeln, Kraut und Blüte) gefült und in Roßmist gesetzt. Das Glas war sehr gut verschlossen. Ob es 100%ig luftdicht war, vermag ich aber nicht zu sagen. 

Nach vier Wochen ist das Kraut ziemlich zusammengefallen und schwamm sozusagen in seinem eigenen Saft. Es wurde über zwei Tage sanft im Wasserbad mit einem Alembik destilliert, bis fast zur Trockenheit der Pflanzen. Dabei erhielt ich eine ansehnliche Menge des Pflanzenwassers. Der noch etwas feuchte Rückstand wurde erneut acht Tage in den Mist gesetzt. Die Temperatur im Mist hielt sich ziemlich konstant um die 40°C. Die zweite Destillation brachte noch etwas Wasser, aber nicht mehr viel. Der Rückstand war dunkel, aber nicht angebrannt, zeigte jedoch kein Grün mehr. Die Blüten waren sehr hell und fahl.

Danach habe ich erneut frischen Löwenzahn gestoßen und mit dem Destillat übergossen. Dies stellte ich sechs Tage in den Mist, in ein hohes Gefäß, dessen oberes Ende aus dem Mist ragte, um eine Zirkulation zu erzeugen und destillierte danach erneut. 

Wie stelle ich fest, wann der Körper gegangen ist und die Quintessenz zurückgeblieben? “ Ich habe hier mit dem Geschmack des Destillats gearbeitet. Nachdem das Meiste an Füssigkeit übergestiegen war, wurde das Destillat immer stärker im Geschmack. Ich habe noch eine Weile weiterlaufen lassen und dann abgebrochen. Die Mischung aus dunkler Flüssigkeit und Kräuterbrei habe ich dann durch ein Tuch fest ausgepreßt und die Flüssigkeit danach filtriert. Sie roch angenehm und würzig und auch der Geschmack war nicht schlecht. Ich habe noch vier Tage zirkuliert. Bisher keine schlechten Vorzeichen. Von der Wirkung her war sie deutlich ausleitend. Wenige Tropfen vor dem Schlafengehen sorgten dafür, daß ich in dieser Nacht drei mal raus mußte.

Die Tinktur wurde in einer dunklen Flasche bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Im Laufe der Zeit veränderten sich Geruch und Geschmack allerdings. Es roch im Prinzip nach etwas säuerlichem Bier. Nicht unangenehm und eindeutig leicht alkoholisch. Scheinbar hatt ich zuviel Wasser drin gelassen und es hat ein weiterer Gärprozeß stattgefunden, oder die Methode mit den frischen Kräutern war nicht die richtige. 

Generell handelt es sich hier ja um einen wäßrigen Auszug, nur daß das Wasser nicht von außen zugesetzt wurde, sondern zu erst auch aus der Pflanze selber gewonnen worden ist. Da keinerlei Rhythmisierung oder Wärme-Kälte- Prozeß angewandt wurde, passierte schließlich auch das,was mit wäßrigen Auszügen passiert: Die Flüssigkeit begann zu schimmeln, Experiment gescheitert. (4

Der zweite Versuch 

Dieses mal sollte mit der These gearbeitet werden, daß "setz ihm deß crescens wider zu" bedeutet, daß man das Destillat auf den Rückstand zurückkippt und dann digeriert.

Es wurde mit Scharfgarbe gearbeitet. Blüten, Blätter und die oberen Teile der Stengel wurden zerkleinert und ein Kolben damit gefüllt. Statt mit Roßmist habe ich dieses Mal mit der Wärmebox gearbeitet, in der ich die Temperatur zwischen 35 und 42°C halten konnte. 

Die ersten Schritte liefen exakt gleich ab. Die Materie begann zu "schwitzen" und nach vier Wochen war der Boden des Kolben mit Flüssigkeit bedeckt, in der die Kräuter sozusagen "schwammen". Ich destillierte wieder bis fast zur Trockenheit, stellte den Rückstand erneut acht Tage in die Wärme und destillierte erneut. Beim zweiten Mal kam noch weniger Wasser als es beim Löwenzahn der Fall gewesen ist. Der Ansatz sah ziemlich ausgelaugt aus, so daß ich auf eine weitere Putrefikation verzichtet habe. 

Diesmal habe ich das Destillat dann auf den abdestillierten Rückstand zurückgekippt und sechs Tage in die Wärme gestellt. Die Flüssigkeit wurde goldbraun. Ich habe wieder destilliert, bis der Geschmack intensiver wurde, danach den Ansatz ausgepreßt, die Flüssigkeit noch vier Tage zirkulieren lassen und abgefüllt. 

Der Geruch ist wie starker Scharfgarbentee, der Geschmack ziemlich durchdringend. Die Flüssigkeit hat bisher auch keinen Schimmel gebildet. Die Abfüllung ist ziemlich genau ein Jahr her. 

Wahrscheinlich hätte man noch mehr von der Flüssigkeit abdestillieren können, das ganze also noch mehr "konzentrieren", aber dieser Versuch war auf jeden Fall erfolgreicher, als der erste. 

Pflanzenwässer 

Im Frühjahr dieses Jahres konnte ich eine Faksimile-Ausgabe von Johann Schroeders 'Arzneischatz' aus dem Jahre 1685 erstehen. Dort findet sich im zweiten Buch des ersten Bandes ein Hinweis auf die Herstellung der Pflanzenwässer. Diese werden im Wasserbad auf verschiedene Arten und Weisen abdestilliert. So kann man in das Destillat nochmal frische Kräuter tun und erneut abdestillieren, um ein stärkeres Wasser zu erhalten. Dies entspräche unserem ersten Versuch, allerdings wird das Destillat verwendet und nicht das, was aus dem Rückstand ausgepreßt wird. Man müßte also ganz abdestillieren. Aber dann haben wir ein starkes Pflanzenwasser, keine Quintessenz. 

Eine interessante Variante ist es auch, wenn man den Wassern und Spiritus "ihre natürliche Farbe zwege bringen" will, daß man die selbe Art Kraut auch in das Auffanggefäß für das Destillat gibt, so daß das Destillat die Kräuter im Auffanggefäß noch einmal auszieht. Schroeder weist aber drauf hin, daß sich dieses Wasser dann nicht lange hält. Auch dieser Vorgang ähnelt der ersten Variante stark (5.

Die erste Variante ist also durchaus auch zu gebrauchen im Sinne eines starken "Pflanzenwassers", aber eben nicht lange haltbar, während die zweite wohl dem nahekommt, was Paracelsus in seiner Beschreibung meint. 

Bernhard Bergbauer 

Alle Paracelsus-Zitate in diesem Beitrag nach der Huserschen Ausgabe, Buch 4. Zitiert nach dem Text des Zürcher Paracelsus-Projekts

3) Dieser Schritt wird in der Aschner-Ausgabe (Jena, 1926/32) weggelassen. Die dortige "Übersetzung " in leserliches Deutsch fährt gleich mit dem nächsten Schritt fort, daß noch einmal putrifiziert werden soll, falls noch Quintessenz im Ansatz wäre.

4) Dieser Auszug wird nach meiner eigenen Erfahrung deutlich länger haltbar, wenn man Wärme/Käte-Prozesse und Rhythmisierungen anwendet. 

5) Vorhergehende Mazeration oder Fermentation sind bei Schroeder wahlweise.

 

 

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